Digital für Alle: Ein Werkstattbericht zur Barrierefreiheit von OPEN
Im digitalen Raum geht es längst nicht mehr nur um Design und Funktion – Barrierefreiheit bedeutet, dass alle Menschen, unabhängig von körperlichen oder kognitiven Einschränkungen, ungehindert auf Inhalte zugreifen und diese nutzen können. Wir zeigen in diesem Werkstattbericht, wie wir mit unserem Expert*innen-Team Barrierefreiheit systematisch prüfen und messbar machen.
BFSG-Audits: Der Weg zur gesetzeskonformen Barrierefreiheit
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) verpflichtet zum 28.06.2025 viele Unternehmen dazu, ihre digitalen Angebote barrierefrei zu gestalten. Ein BFSG-Audit ist dabei der erste wichtige Schritt: Es analysiert systematisch alle potenziellen Barrieren und zeigt konkrete Wege zur Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen auf.
Bevor unser Audit-Team aktiv wird, evaluieren wir gemeinsam mit unseren Bestands- und Neukunden in einer gezielten Consulting-Phase den konkreten Bedarf und die Kosteneffizienz eines Audits. Dieser vorgeschaltete Strategieprozess hilft dabei, Ressourcen optimal einzusetzen und maximalen Mehrwert zu generieren.
Als zertifizierte Expert*innen für Barrierefreiheit prüfen wir sämtliche digitale Touchpoints auf Zugänglichkeit – von komplexen Kundenportalen über E-Commerce-Shops und Unternehmenswebsites bis hin zu PDFs, E-Mails und Newslettern. Dabei legen wir besonderen Wert auf eine ganzheitliche Analyse: Jeder digitale Kontaktpunkt wird sorgfältig geprüft und optimiert. Mit dieser umfassenden Herangehensweise begleiten wir unsere Kunden von der ersten Analyse bis zur finalen Umsetzung auf dem Weg zur digitalen Inklusion.
Die 40%-60% Realität
„Automatisierte Tests decken schätzungsweise nur etwa 40% der Barrieren auf – oft geht es dabei nur um den technischen Rahmen, nicht aber um die tatsächliche Nutzererfahrung“, erklärt Skrollan, Leiterin unseres Frontend- und Designteams. „Deshalb setzen wir bei OPEN auf eine Kombination aus technischer Expertise und jahrelanger, menschlicher Erfahrung.“
Inside OPEN: Ein Tag im Leben unseres Audit-Teams
Wie sieht diese Kombination in der Praxis aus? Wir haben unser Expert*innen-Team eine Woche lang bei ihrer Arbeit begleitet. Ihre Mission: Eine E-Commerce-Plattform auf Barrierefreiheit zu prüfen und konkrete Handlungsempfehlungen zu entwickeln. Tauchen wir ein in den Arbeitsalltag unserer Accessibility-Expert*innen.
Tag 1: Die Vorbereitung – mehr als nur Checkboxen
„Barrierefreiheit ist ein kontinuierlicher Prozess“, erklärt Skrollan, während sie uns durch den ersten Audittag führt. „Viele denken, wir würden einfach eine Software über die Plattform laufen lassen und bekämen dann eine Checkliste mit Fehlern. Die Realität ist viel komplexer – und spannender.“
Der Tag beginnt für das Audit-Team mit einer gründlichen Bestandsaufnahme. „Bevor wir in die technische Prüfung einsteigen, müssen wir die Seite wirklich verstehen“, erklärt Svenja, Frontend-Entwicklerin & Barrierefreiheit-Spezialistin, während sie methodisch durch die verschiedenen Bereiche einer E-Commerce-Plattform navigiert. „Bei Template-basierten Seiten wie diesem Shop erstellen wir zunächst eine detaillierte Übersicht aller Seitentypen. Jedes Template, jedes wiederkehrende Modul wird dokumentiert.“
Parallel dazu identifiziert das Team bereits potenzielle Herausforderungen. „Hier haben wir zum Beispiel ein komplexes Filtermodul von einem Drittanbieter“, zeigt Svenja auf ihrem Bildschirm. „Solche Komponenten erfordern besondere Aufmerksamkeit, da wir oft feststellen, dass gerade hier kritische Barrieren entstehen können.“
Unser Audit-Team vereint technisches Know-how mit tiefem Verständnis für Nutzer*innenbedürfnisse
Tech-Expert*innen: Analysieren Code-Strukturen und technische Implementierung
UX-Spezialist*innen: Prüfen Usability und Nutzer:innenführung
Accessibility-Expert*innen: Evaluieren mit Screenreadern und assistiven Technologien
Tag 2: Die technische Tiefe – der Weg von der Automation zur Expertise
„Den ersten Überblick verschaffen wir uns mit einem automatisierten Tool“, erklärt Maks, während er Axe in seinem Browser startet. „Das ist wie ein erster Radar-Scan der Website. Es zeigt uns schnell strukturelle Probleme im Code auf – fehlende Alt*-Texte, unzureichende ARIA**-Labels oder Kontrastprobleme.“ Nach dem ersten Durchlauf öffnet er WAVE. „Wir prüfen gerne mit einem zweiten Tool gegen, ob es ähnliche Schwachstellen findet. So können wir besser einschätzen, wo wir später besonders genau hinschauen müssen.“ Das Analysewerkzeug arbeitet sich systematisch durch den Code und liefert weitere Hinweise auf potenzielle Probleme.
Doch Maks weiß um die Grenzen der Automatisierung: „Diese Tools decken nur etwa 40% der tatsächlichen Barrieren auf. Sie können nicht verstehen, ob ein Alt-Text wirklich aussagekräftig ist oder ob die Struktur einer Seite für Menschen logisch und nachvollziehbar ist.“ Er öffnet eine Produktdetailseite im Shop. „Hier zum Beispiel zeigt uns Axe zwar Fehler an, aber gibt uns auch den Hinweis mit, dass wir diese manuell überprüfen müssen. Und wenn wir uns die Seite mit einem Screenreader anhören, merken wir, dass die Reihenfolge der Informationen für blinde Nutzer*innen nicht intuitiv ist.“
Das ist der Punkt, an dem die menschliche Expertise ins Spiel kommt. „Wir nutzen die automatisierten Tests als Basis“, fährt Maks fort und öffnet den Screenreader VoiceOver. „Aber die eigentliche Arbeit beginnt erst danach. Jedes Element muss im Kontext seiner Nutzung geprüft werden. Ist die Navigation auch ohne Maus möglich? Sind die Fehlermeldungen im Formular verständlich? Macht die Struktur der Seite auch dann noch Sinn, wenn man sie nur hört?“
Unsere genutzten Tools im Überblick:
Screenreader (NVDA/VoiceOver): Test der Sprachausgabe
W3C Validator: Überprüfung der Code-Syntax
PDF Accessibility Checker: Analyse von PDF-Dokumenten
Browser-Tools: Unterstützung der manuellen Prüfung
Tag 3: Aus der Perspektive der Nutzer:innen – Usability-Tests in der Praxis
„Jetzt wird’s spannend“, sagt Skrollan, unsere UX-Spezialistin, während sie verschiedene Testszenarien vorbereitet. „Wir simulieren jetzt echte Nutzungssituationen – vom einfachen Informationsabruf bis zum kompletten Checkout-Prozess.“
An ihrem Bildschirm sehen wir eine E-Commerce-Website. „Nehmen wir mal an, ich bin eine Nutzerin mit motorischen Einschränkungen und möchte ein Produkt bestellen“, erklärt sie. Skrollan navigiert ausschließlich mit der Tastatur durch den Shop. „Seht ihr das? Der Warenkorb-Button ist mit der Tastatur nicht erreichbar. Das ist eine kritische Barriere.“
„Besonders aufschlussreich sind die Tests mit dem Screenreader“, fügt Maks hinzu. „Wenn z.B. ein blinder Mensch den Preis nicht vor der Größenauswahl hört, wie soll er dann sinnvoll eine informierte Kaufentscheidung treffen?“ Er demonstriert, wie der Screenreader die Seite vorliest – und wie verwirrend die Reihenfolge der Informationen sein kann.
Typische Szenarien unserer Usability-Tests:
- Navigation durch den Header-Bereich
- Produktsuche und Filternutzung
- Formulareingaben und Fehlermeldungen
- Kompletter Bestellprozess
- Nutzung der Service-Funktionen
- PDF-Downloads und Dokumentenhandling
Tag 4: Die Analyse – wenn aus Einzelteilen ein Gesamtbild wird
Am vierten Tag treffen sich alle Beteiligten zur Auswertung. „Jetzt bringen wir alles zusammen“, erklärt Skrollan. Auf einem großen Bildschirm sehen wir eine Matrix mit den verschiedenen Prüfbereichen.
„Wir kategorisieren die gefundenen Barrieren nach Schweregrad und Aufwand“, erläutert sie. „Ein nicht erreichbarer Warenkorb-Button ist kritisch und schnell zu beheben – das hat höchste Priorität. Die Optimierung der PDF-Dokumente ist auch wichtig, aber weniger zeitkritisch.“
Priorisierung der Barrieren:
Kritisch (sofort beheben):
- Nicht-erreichbare Funktionselemente
- Fehlende Alternativtexte bei wichtigen Bildern
- Unzureichende Kontraste bei Call-to-Actions
Wichtig (zeitnah angehen):
- Optimierung der Tabindex-Reihenfolge
- Verbesserung der Formularbeschriftungen
- Anpassung der Überschriftenhierarchie
Empfohlen (mittelfristig umsetzen):
- Erweiterung der Alternativtexte für Dekorationselemente
- Optimierung der PDF-Dokumente
- Erweiterte ARIA-Labels für komplexe Komponenten
Tag 5: Der Auditbericht – vom Befund zur Handlungsempfehlung
„Ein Auditbericht muss mehr sein als eine Auflistung von Problemen“, betont Tina, während sie uns den Aufbau eines typischen Reports zeigt. „Wir liefern für jede identifizierte Barriere auch gleich die Lösungen mit.“
Der Bericht gliedert sich in mehrere Abschnitte:
- Executive Summary für die Geschäftsführung
- Detaillierte technische Analyse für die Entwickler*innen
- Priorisierte Maßnahmenliste mit Aufwandsschätzung
- Konkrete Code-Beispiele und Best Practices
- Empfehlungen für redaktionelle Inhalte
„Besonders wichtig ist uns die Nachvollziehbarkeit“, ergänzt Maks. „Zu jeder Barriere dokumentieren wir genau, wo sie auftritt und wie sie sich auf verschiedene Nutzergruppen auswirkt. Dazu kommen Screenshots, Code-Snippets und Links zu den entsprechenden WCAG-Kriterien.“
Die Übergabe: Startschuss für Verbesserungen
Die Präsentation der Ergebnisse ist ein wichtiger Moment. „Wir nehmen uns Zeit, alle Beteiligten mitzunehmen“, sagt Skrollan. „Die Entwickler*innen brauchen andere Informationen als das Marketing-Team oder die Geschäftsführung. In der Präsentation gehen wir auf die spezifischen Bedürfnisse ein.“
Nach der Übergabe ist vor der Umsetzung. „Wir beraten unsere Kund*innen von Anfang an und stehen ihnen auch über die Implementierung der Verbesserungen hinaus zur Seite, da Barrierefreiheit kontinuierlich stattfinden und geprüft werden sollte“, erklärt Tina. „Das kann von kurzen Code-Reviews über detailierte Redaktionsleitfäden bis hin zur vollständigen Begleitung des Optimierungsprozesses reichen. Und nach einigen Monaten prüfen wir gerne noch einmal, ob alle Maßnahmen greifen.“
Von der Vision zur Realität
„Eine barrierefreie Website ist keine Einbahnstraße“, betont Skrollan zum Abschluss. „Es ist ein kontinuierlicher Prozess der Verbesserung, bei dem wir unsere Kunden Schritt für Schritt begleiten. Das Ziel ist klar: Eine digitale Welt, die wirklich allen offensteht.“
Warum die Expertise einer Agentur entscheidend ist
Eine wichtige Erkenntnis aus unserer täglichen Praxis: Viele Systemanbieter – ob Content Management Systeme (CMS) oder Shop-Systeme – werben zwar mit „barrierefreien Features“, können aber keine vollständige BFSG-Konformität garantieren. Besonders kritisch sehen wir den Einsatz von sogenannten Overlay-Tools: Diese KI-gestützten Lösungen versprechen zwar schnelle Verbesserungen, können jedoch keine echte Barrierefreiheit gewährleisten. Im Gegenteil – häufig entstehen durch ihren Einsatz sogar neue Barrieren, und eine BFSG-konforme Umsetzung ist damit nicht möglich.
Der Grund ist eindeutig: Echte Barrierefreiheit geht weit über technische Grundfunktionen hinaus und erfordert durchdachte, individuelle Anpassungen. Deshalb empfehlen auch die Systemanbieter selbst die Zusammenarbeit mit spezialisierten Agenturen wie OPEN, um eine rechtssichere und nutzerfreundliche Umsetzung zu gewährleisten.
Dein Weg zur barrierefreien Website
Möchtest du mehr über Barrierefreiheit erfahren oder deine Website einem Audit unterziehen? Hier findest du einen Überblick über unser Leistungsspektrum.
*Alt-Texte (Alternative Texte) sind unsichtbare Beschreibungen von Bildern, die von Screenreadern vorgelesen werden. Sie ermöglichen es, blinden oder sehbehinderten Menschen, den Inhalt und die Bedeutung von Bildern zu erfassen. Ein guter Alt-Text beschreibt präzise, was auf dem Bild zu sehen ist oder welche Funktion es erfüllt.
**ARIA-Labels sind spezielle HTML-Attribute, die zusätzliche Informationen für assistive Technologien bereitstellen. Sie helfen dabei, die Bedeutung und Funktion von Elementen wie Buttons, Links oder Formularen für Screenreader-Nutzer*innen verständlich zu machen. Zum Beispiel kann ein ARIA-Label einem „Schließen“-Button die zusätzliche Information „Schließt das Kontaktformular“ geben.
Christian Schmidt
Geschäftsführer OPEN
Christian ist Mitgründer und Geschäftsführer der OPEN Digitalgruppe. Als Digital Nerd und Internet-Pionier verfolgt er seit mehr als 25 Jahren digitale Trends und bewertet deren Potentiale.
Consulting & Experts
Digitalisierung durchdacht: Strategieberatung für eine erlebnisorientierte Transformation
"Digitales Consulting und Strategieberatung aus der Logik von Marke und Märkten gedacht – nicht aus der Routine klassischer Unternehmensberatung. Für vollen Fokus auf eine digitale Transformation, die Marken zur Experience macht."
Kontakt. Auf Augenhöhe.
Tina Stotz
Client Service Director, Lead Consultant Barrierefreiheit
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von HubSpot. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenMehr News und Insights aus der OPEN Welt findest du im Blog.
Weitere interessante Beiträge:
Case Studies & Projekte | Vom 31. August 2022
Barrierefreier Auftritt: Das neue BIH-Portal und Digitalmagazin
Digitaler und barrierearmer Neustart für das BIH Portal und das ZB Digitalmagazin....
News & Trends | Vom 28. August 2024
Gamescom 2024 Recap: KI, Barrierefreiheit und „Hausverbot“ für Montana Black
Über 320.000 Gamerinnen und Gamer haben sich dieses Jahr auf der Gamescom 2024 in Köln getummelt. Unser Recap verrät,...
News & Trends | Vom 12. August 2024
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – mehr Chance statt Hindernis
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), das ab 2025 in Kraft treten soll, bietet für Anbieter digitaler Produkte ...